Isch over (22071)

Ich glau­be, Her­mann L. Grem­li­za war der erste Jour­na­list, der mir na­ment­lich be­kannt war. Ohne dass ich je etwas von ihm ge­le­sen hatte. Ich muss so um die 15 Jahre alt ge­we­sen sein. Ein gleich­alt­ri­ger Freund von mir er­zähl­te von Grem­li­za-Kon­kret-Ar­ti­keln. Ich ver­mu­te, der hatte die auch gar nicht selbst ge­le­sen, son­dern nur sein äl­te­rer Bru­der.

Heiko Wer­ning (Quel­le: https://www.prin­zes­sin­nen­re­por­ter.de/der-roy­a­le-jour­na­lis­ten­fra­ge­bo­gen-der-prin­zes­sin­nen­re­por­ter-39-heiko-wer­ning/)

"Da­mals", vor 9 Jah­ren, hatte ich, der er­wähn­te äl­te­re Bru­der, mich in­ner­lich schon ein wenig ge­freut auf die­sem Weg zu er­fah­ren, einen win­zig klei­nen Bei­trag zum spä­te­ren Wer­de­gang des Rep­ti­li­en­for­schers, Jour­na­lis­ten, Au­tors und Schall­plat­ten-Ty­coons i.R. Heiko Wer­ning ge­leis­tet zu haben. Das schö­ne Ge­fühl, je­man­den, wenn auch nur in­di­rekt, etwas auf den Le­bens­weg mit­ge­ge­ben zu haben.

Ges­tern las ich dann in jener taz, für die Heiko Wer­ning seit Jah­ren schreibt, dass die kon­kret nach Jah­ren des öko­no­mi­schen und pol­tisch-in­tel­lek­tu­el­len Siech­tums (Kro­nau­er! So­lo­kow­sky!) zum Jah­res­en­de ihre Druck­aus­ga­be ein­stellt. An­ders als bei der taz, die die­sen Schritt über meh­re­re Jahre vor­be­rei­tet hat, kann man im Fall kon­kret davon aus­ge­hen, dass man hier, in der ir­ra­ti­o­na­len Hoff­nung so dem be­triebs­wirt­schaft­li­chen Ge­vat­ter Hein, dem Kon­kurs, noch ein­mal von der Schip­pe zu sprin­gen, Selbst­mord aus Angst vor dem dro­hen­den Tod be­geht.

Zwi­schen den Mo­men­ten, als mein jün­ge­rer Bru­der sei­nem Kin­der­gar­ten­freund Heiko Wer­ning aus zwei­ter Hand von Her­mann L. Grem­liz­as Ko­lumm­nen in der kon­kret er­zähl­te und dem düs­te­ren Heute lie­gen mitt­ler­wei­le 40 Jahre. Liegt der Zu­sam­men­bruch der DDR, der UdSSR und des ge­sam­ten Ost­blocks. Liegt die Wie­der­ver­ei­ni­gung und der weit­ge­hen­de ge­schei­ter­te Ver­such Deut­sch­lands zum eu­ro­pä­i­schen He­ge­nom auf­zu­stei­gen. Lie­gen di­ver­se Krie­ge in Ju­go­sla­wi­en und am Golf (ich habe ir­gend­wann auf­ge­hört mit­zu­zäh­len) und der Auf­stieg Chi­nas zur au­to­ri­tär ge­führ­ten ka­pi­ta­lis­ti­schen Welt­macht. Und - last but not least - die Trans­for­ma­ti­on der fra­gi­len post­so­wje­ti­schen De­mo­kra­tie Russ­lands in das quasi-fa­schis­ti­sche Re­gime Pu­tins. Und na­tür­lich der seit 2022 fort­dau­ern­de An­griffs­krieg Russ­lands gegen die Uk­rai­ne.

Es war die dem An­griff Russ­lands fol­gen­de Aus­ga­be der kon­kret, die erste, die ich nach 36 Jah­ren treu­er mo­nat­li­cher Lek­tü­re nicht mehr ge­kauft habe. "Go East" hieß auf der Ti­tel­sei­te. Mit der Un­ter­zei­le "Die NATO-Ag­gres­si­on gegen Russ­land". Nicht nur ich frag­te mich, ob man in der Re­dak­ti­on mor­gens zu­viel Ra­sier­was­ser trin­ken würde. Auf Kri­tik, die aus fast allen Spek­tren der deut­schen Rest­lin­ken gab, re­a­gier­te man mit der zwar nach­voll­zieh­ba­ren, aber auch scha­len Re­plik, dass die Aus­ga­be schon in Druck ge­we­sen sei. Und dem selt­sam die ei­ge­ne Wich­tig­keit über­schät­zen­den Hin­weis, dass man die "Dis­kus­si­on" in den nächs­ten Aus­ga­ben fort­s­et­zen würde. Als ob die kon­kret noch immer ein zen­tra­les, mei­nungs­bil­de­nes Organ der deut­schen Lin­ken wäre. Ob es das je­mals war oder ob dies eher das Selbst­bild des jahr­zen­te­lan­gen Her­aus­ge­bers Her­mann L. Grem­li­za wie­der­spie­gel­te, sei da­hin­ge­stellt.

Dass be­sag­ter Titel eben kein Aus­rut­scher war, son­dern Aus­druck einer zu­neh­mend bi­zar­ren und sek­tie­re­ri­schen Welt­sicht der Re­dak­ti­on unter Lei­tung von Frie­de­ri­ke Grem­li­za, die die Her­aus­ge­ber­schaft - Nord­ko­rea lässt grü­ßen - vom 2019 ver­stor­be­nen Vater ge­erbt hatte, zeig­te sich dann im Juli des­sel­ben Jah­res, als fast drei Dut­zend ak­tu­el­le und ehe­ma­li­ge Kon­kret-Au­tor*in­nen den Kurs des Ma­ga­zins nicht nur öf­fent­lich kri­ti­sier­ten, son­dern auch jede wei­te­re zu­künf­ti­ge Ar­beit für die Kon­kret ri­go­ros aus­schlos­sen. Unter ihnen - und hier schließt sich dann ein klei­ner Kreis - die "Prin­zes­sin­ne­re­por­te­rin" - Elke Witt­tich. Die Re­ak­ti­on der kon­kret-Re­dak­ti­on, man kann es nicht an­ders sagen, er­in­ner­te in Wort­wahl und Sprach­duk­tus an die gei­fern­den An­kla­gen sta­li­nis­ti­scher Schau­pro­zes­se. "Halb­wahr­hei­ten und gan­zen Lügen (...) ge­prägt vom Wil­len zu einer po­li­ti­schen Hetze" warf man den Kri­ti­ker*in­nen vor. Ein in­halt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit der Kri­tik er­üb­ri­ge sich ergo.

Hatte ich in den Mo­na­ten nach dem Be­ginn des An­griffs­kriegs Russ­lands gegen die Uk­rai­ne mo­nat­lich in der Hoff­nung, dass sich der Kurs des Blat­tes doch noch wie­der zum Bes­se­ren wen­den würde, bei der lo­ka­len Bahn­hofs­buchand­lung kurz ins In­halts­ver­zeich­nis ge­schaut, hatte sich das damit er­le­digt. Was folg­te war eine mo­na­te­lan­ge Lek­tü­re zur so­wje­ti­schen Ge­schich­te. USSR re­vi­si­ted so­zu­sa­gen. Und die lang­sam auf­kom­men­de Er­kennt­nis, dass man sel­ber über Jahr­zehn­te die Augen ver­schlos­sen hatte vor dem Ter­ror Len­ins, Trotz­kis und Sta­lins aus dem Be­dürf­nis her­aus, dass es doch ir­gend­ei­ne Al­ter­na­ti­ve zum Elend des Ka­pi­ta­lis­mus geben müsse. Und der un­ein­ge­stan­de­nen Sehn­sucht, dass eine große, gute und gü­ti­ge Macht die Welt und somit einen selbst re­gie­ren solle.

Her­mann L. Grem­liz­as letz­te, vor sei­nem Tod ver­öf­fent­lich­te Ko­lumm­ne hatte den Titel "Ich, Sta­lin" und war eine eben­so un­er­träg­li­che wie bi­zar­re Apo­lo­gie der Art der Kriegs­füh­rung der Roten Armee gegen Nazi-Deut­sch­land. Dass man sei­tens der so­wje­ti­schen Füh­rung die ei­ge­nen Sol­da­ten mit bru­tals­ter Ge­walt vor die Ge­wehr- und Ge­schütz­läu­fe der deut­schen An­grei­fer trieb, war für Grem­li­za schie­re Not­wen­dig­keit und als sol­che somit ge­recht­fer­tigt. Das Gulag-Sys­tem, die sta­li­nis­ti­schen Säu­be­run­gen (denen auch aber­tau­sen­de er­fah­re­ne Of­fi­zie­re zum Opfer fie­len mit der Folge, dass es der Roten Armee zu Be­ginn des Krie­ges an qua­li­fi­zier­ten Füh­rungs­per­so­nal ekla­tant man­gel­te) waren Grem­li­za nur Neben- und keine Haupt­sät­ze wert. Und na­tür­lich war Grem­liz­as Sicht der Dinge "al­ter­na­tiv­los", so al­ter­na­tiv­los wie es die Säu­be­run­gen für Sta­lin ge­we­sen sein wer­den.

Dass nun die Toch­ter, sechs Jahre nach dem Tod der über­mäch­ti­gen Va­ter­fi­gur, dem sie ge­ra­de ein li­te­ra­ri­sches Mau­so­le­um baut, die Kon­kret end­gül­tig vor die Wand ge­fah­ren hat, ist letzt­end­lich wenig über­ra­schend. Mit einer pu­bli­zis­ti­schen Linie, deren In­halt sich auf "mehr Grem­li­za"(sic!) re­du­ziert und jede Ver­än­de­rung am Blatt von vorn­her­ein aus­schloss, war vor­her­seh­bar kein Blu­men­topf mehr zu ge­win­nen.

"Isch over" wie der ehe­ma­li­ge Fi­nanz­mi­nis­ter Wolf­gang Schäu­b­le es mal in einem an­de­ren Zu­sam­men­hang sagte. Und man muss fest­stel­len, dass es kein Ver­lust ist. Was ir­gend­wie scha­de ist, auch wenn man sich sel­ber rü­ck­bli­ckend fragt, warum man dem Blatt über­haupt so­lan­ge die Treue ge­hal­ten hat. Be­ru­hi­gend ist aber zu wis­sen, dass der Ein­fluss, den man in­di­rekt auf das pu­bli­zis­ti­sche Schaf­fen eines pu­ber­tie­ren­den Rep­ti­li­en­freun­des hatte, dann doch nicht so groß war. Heiko Wer­nings Ar­ti­kel und Bü­cher sind auch heute noch le­sens­wert.