Ich glaube, Hermann L. Gremliza war der erste Journalist, der mir namentlich bekannt war. Ohne dass ich je etwas von ihm gelesen hatte. Ich muss so um die 15 Jahre alt gewesen sein. Ein gleichaltriger Freund von mir erzählte von Gremliza-Konkret-Artikeln. Ich vermute, der hatte die auch gar nicht selbst gelesen, sondern nur sein älterer Bruder.
Heiko Werning (Quelle: https://www.prinzessinnenreporter.de/der-royale-journalistenfragebogen-der-prinzessinnenreporter-39-heiko-werning/)
"Damals", vor 9 Jahren, hatte ich, der erwähnte ältere Bruder, mich innerlich schon ein wenig gefreut auf diesem Weg zu erfahren, einen winzig kleinen Beitrag zum späteren Werdegang des Reptilienforschers, Journalisten, Autors und Schallplatten-Tycoons i.R. Heiko Werning geleistet zu haben. Das schöne Gefühl, jemanden, wenn auch nur indirekt, etwas auf den Lebensweg mitgegeben zu haben.
Gestern las ich dann in jener taz, für die Heiko Werning seit Jahren schreibt, dass die konkret nach Jahren des ökonomischen und poltisch-intellektuellen Siechtums (Kronauer! Solokowsky!) zum Jahresende ihre Druckausgabe einstellt. Anders als bei der taz, die diesen Schritt über mehrere Jahre vorbereitet hat, kann man im Fall konkret davon ausgehen, dass man hier, in der irrationalen Hoffnung so dem betriebswirtschaftlichen Gevatter Hein, dem Konkurs, noch einmal von der Schippe zu springen, Selbstmord aus Angst vor dem drohenden Tod begeht.
Zwischen den Momenten, als mein jüngerer Bruder seinem Kindergartenfreund Heiko Werning aus zweiter Hand von Hermann L. Gremlizas Kolummnen in der konkret erzählte und dem düsteren Heute liegen mittlerweile 40 Jahre. Liegt der Zusammenbruch der DDR, der UdSSR und des gesamten Ostblocks. Liegt die Wiedervereinigung und der weitgehende gescheiterte Versuch Deutschlands zum europäischen Hegenom aufzusteigen. Liegen diverse Kriege in Jugoslawien und am Golf (ich habe irgendwann aufgehört mitzuzählen) und der Aufstieg Chinas zur autoritär geführten kapitalistischen Weltmacht. Und - last but not least - die Transformation der fragilen postsowjetischen Demokratie Russlands in das quasi-faschistische Regime Putins. Und natürlich der seit 2022 fortdauernde Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.
Es war die dem Angriff Russlands folgende Ausgabe der konkret, die erste, die ich nach 36 Jahren treuer monatlicher Lektüre nicht mehr gekauft habe. "Go East" hieß auf der Titelseite. Mit der Unterzeile "Die NATO-Aggression gegen Russland". Nicht nur ich fragte mich, ob man in der Redaktion morgens zuviel Rasierwasser trinken würde. Auf Kritik, die aus fast allen Spektren der deutschen Restlinken gab, reagierte man mit der zwar nachvollziehbaren, aber auch schalen Replik, dass die Ausgabe schon in Druck gewesen sei. Und dem seltsam die eigene Wichtigkeit überschätzenden Hinweis, dass man die "Diskussion" in den nächsten Ausgaben fortsetzen würde. Als ob die konkret noch immer ein zentrales, meinungsbildenes Organ der deutschen Linken wäre. Ob es das jemals war oder ob dies eher das Selbstbild des jahrzentelangen Herausgebers Hermann L. Gremliza wiederspiegelte, sei dahingestellt.
Dass besagter Titel eben kein Ausrutscher war, sondern Ausdruck einer zunehmend bizarren und sektiererischen Weltsicht der Redaktion unter Leitung von Friederike Gremliza, die die Herausgeberschaft - Nordkorea lässt grüßen - vom 2019 verstorbenen Vater geerbt hatte, zeigte sich dann im Juli desselben Jahres, als fast drei Dutzend aktuelle und ehemalige Konkret-Autor*innen den Kurs des Magazins nicht nur öffentlich kritisierten, sondern auch jede weitere zukünftige Arbeit für die Konkret rigoros ausschlossen. Unter ihnen - und hier schließt sich dann ein kleiner Kreis - die "Prinzessinnereporterin" - Elke Witttich. Die Reaktion der konkret-Redaktion, man kann es nicht anders sagen, erinnerte in Wortwahl und Sprachduktus an die geifernden Anklagen stalinistischer Schauprozesse. "Halbwahrheiten und ganzen Lügen (...) geprägt vom Willen zu einer politischen Hetze" warf man den Kritiker*innen vor. Ein inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kritik erübrige sich ergo.
Hatte ich in den Monaten nach dem Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine monatlich in der Hoffnung, dass sich der Kurs des Blattes doch noch wieder zum Besseren wenden würde, bei der lokalen Bahnhofsbuchandlung kurz ins Inhaltsverzeichnis geschaut, hatte sich das damit erledigt. Was folgte war eine monatelange Lektüre zur sowjetischen Geschichte. USSR revisited sozusagen. Und die langsam aufkommende Erkenntnis, dass man selber über Jahrzehnte die Augen verschlossen hatte vor dem Terror Lenins, Trotzkis und Stalins aus dem Bedürfnis heraus, dass es doch irgendeine Alternative zum Elend des Kapitalismus geben müsse. Und der uneingestandenen Sehnsucht, dass eine große, gute und gütige Macht die Welt und somit einen selbst regieren solle.
Hermann L. Gremlizas letzte, vor seinem Tod veröffentlichte Kolummne hatte den Titel "Ich, Stalin" und war eine ebenso unerträgliche wie bizarre Apologie der Art der Kriegsführung der Roten Armee gegen Nazi-Deutschland. Dass man seitens der sowjetischen Führung die eigenen Soldaten mit brutalster Gewalt vor die Gewehr- und Geschützläufe der deutschen Angreifer trieb, war für Gremliza schiere Notwendigkeit und als solche somit gerechtfertigt. Das Gulag-System, die stalinistischen Säuberungen (denen auch abertausende erfahrene Offiziere zum Opfer fielen mit der Folge, dass es der Roten Armee zu Beginn des Krieges an qualifizierten Führungspersonal eklatant mangelte) waren Gremliza nur Neben- und keine Hauptsätze wert. Und natürlich war Gremlizas Sicht der Dinge "alternativlos", so alternativlos wie es die Säuberungen für Stalin gewesen sein werden.
Dass nun die Tochter, sechs Jahre nach dem Tod der übermächtigen Vaterfigur, dem sie gerade ein literarisches Mausoleum baut, die Konkret endgültig vor die Wand gefahren hat, ist letztendlich wenig überraschend. Mit einer publizistischen Linie, deren Inhalt sich auf "mehr Gremliza"(sic!) reduziert und jede Veränderung am Blatt von vornherein ausschloss, war vorhersehbar kein Blumentopf mehr zu gewinnen.
"Isch over" wie der ehemalige Finanzminister Wolfgang Schäuble es mal in einem anderen Zusammenhang sagte. Und man muss feststellen, dass es kein Verlust ist. Was irgendwie schade ist, auch wenn man sich selber rückblickend fragt, warum man dem Blatt überhaupt solange die Treue gehalten hat. Beruhigend ist aber zu wissen, dass der Einfluss, den man indirekt auf das publizistische Schaffen eines pubertierenden Reptilienfreundes hatte, dann doch nicht so groß war. Heiko Wernings Artikel und Bücher sind auch heute noch lesenswert.
